Von „Hosianna“ über „Kreuzige ihn!“ bis zum „Halleluja!“

Eine Hinführung zu der Feier der Kar- und Ostertage

 

„Die Kirche und der wilde Wein" – So ist auf einem grün-weißen Schild neben der Liebfrauenkirche zu lesen. Das Hinweisschild gehört zum Stadtökologischen Lehrpfad. Gehe ich den Weg des Bocholter Stadtökologischen Lehrpfads kann ich Wissenswertes über Ökosysteme im Stadtgebiet entdecken und mein naturwissenschaftliches Wissen auffrischen.

Die Feier der Kar- und Ostertage kann für uns Christen zu einer Art Lebenslehrpfad werden. Dieser Lebenslehrpfad will den Menschen neu zum Leben führen. Die Feier der heiligen Woche lässt Christen den Sinn des Glaubens und das Geheimnis des Lebens in Gott neu entdecken.

Die Kar- und Ostertage werden auch die Heilige Woche genannt. Sie ist der Höhepunkt im ganzen Kirchenjahr. Gründonnerstag, Karfreitag und die Ostemacht bilden die Herzmitte und die Quelle aller gottesdienstlichen Feiern. Christen feiern die großen Heilstaten Gottes. Das Heil, das ihnen durch Jesu Leiden, Kreuz und Auferstehung geschenkt ist. Sie feiern diese Geschehnisse nicht als Erinnerung an Ereignisse in vergangener Zeit, sondern als ein Geschehen, in dem für sie heute Heilung, Erlösung und Befreiung geschieht. In der Feier der Lebens- und Leidensgeschichte Jesu hat auch die je eigene Lebens- und Leidensgeschichte der Menschen wie auch der ganzen Menschheit ihren Platz. Auch Christen erleben das Leben in all seinen Dimensionen; sie durchmessen das Leben in Stimmungen von „himmelhoch jauchzend" bis „zum Tod betrübt".

Die Feier der Heiligen Woche beginnt mit dem Palmsonntag. In der Einleitung zu Palmsonntag heißt es: „In den Tagen der Fastenzeit haben wir uns auf Ostern vorbereitet; wir haben uns bemüht um die Bekehrung unseres Herzens und um tätige Nächstenliebe. - Heute aber sind wir zusammengekommen, um mit der ganzen Kirche in die Feier der österlichen Geheimnisse einzutreten." Damit ist gesagt: Die Zeit der Vorbereitung auf Ostern, die Zeit der Buße ist vorbei. Jetzt gilt es, Jesus nachzufolgen, seinen Weg durch den Tod zum Leben mitzugehen. „Hosianna", riefen die Menschen damals; „Hosianna", so singen Christen mit den Palmzweigen in den Händen auch heute. Der Hosianna-Ruf ist ein Hinweis darauf, wie Christen die Leidensgeschichte Jesu bedenken: Sie tun dies nicht mit Melancholie, Bedauern oder Lamentieren, sondern in sieghafter Freude: Denn die Passion Jesu ist eine Leidens- und Siegesgeschichte. Jesus, der sich augenscheinlich vom Tod besiegen lässt, ist in Wahrheit der Überwinder des Todes. Die Palmzweige waren früher neben dem Lorbeerkranz Zeichen des Sieges. Die frischen grünen Buchsbaumzweige, die wir heute nehmen, sind Zeichen des aufblühenden Lebens (Vorwegnahme). Der Einzug Jesu in Jerusalem führt aber auch vor Augen, was tagtäglich zwischen Menschen und in unserer Gesellschaft geschieht. Wie schnell sich die Haltung des Menschen einem Anderen gegenüber ins Gegenteil verdrehen kann. Im Fußball wird bei einem Sieg der Trainer gefeiert; doch schon nach drei verlorenen Spielen ist ihm der Gang in die Wüste gewiss. Bei Jesu: Die heute „Hosianna" rufen, schreien morgen „Kreuzige ihn"! Die Feier der Heiligen Woche kann mit der Bitte verbunden werden, dass sich die eigene Wankelmütigkeit in Treue, die Halbherzigkeit in ganze Anteilnahme verwandle.

An den Kartagen (Montag bis Mittwoch) wird sozusagen die Szenerie bereitet: Auch dies ist dem Menschen bekannt: Da spitzt sich eine Krise immer mehr zu. Der Mensch spürt es im persönlichen Bereich, z.B. das Zerbrechen einer Beziehung, oder im politischen, z.B. im Iran-Konflikt, in der Euro-Krise. In den Evangelien geht es um Verrat und Verleugnung, Judas und Petrus. In diesen Tagen singen Christen vor allem Lieder der Passion.

Mit dem Gründonnerstag beginnt die österliche Drei-Tage-Feier. Was Christen sonst in jeder Messe feiern, Tod und Auferstehung Jesu Christi, das wird an diesen drei Tagen entfaltet. So können die einzelnen Momente von Gemeinschaft beim Mahl, von Verlassenheit, von Wachen und Aushalten, Tod und Trauer, von Auferstehung und Neuanfang bewusster nachvollzogen werden. Gründonnerstag, Karfreitag und die Ostemacht bilden - wie der Kirchenvater Augustinus sagt - „einen Heiligen Dreitag des Gekreuzigten, Begrabenen und Auferstandenen." Zeichenhaft beginnt an Gründonnerstag die Abendmahlsmesse mit dem Kreuzzeichen. Aber das nächste Kreuzzeichen wird erst wieder mit dem Segen am Ende der Osternachtfeier erfolgen. Die Gottesdienste an Gründonnerstag, Karfreitag und in der Ostemacht bilden eine einzige Feier. Darum kann an diesen Tagen auch keine weitere Messe oder ein anderer Gottesdienst gefeiert werden. Am Gründonnerstag heißt es im Hochgebet: Am Abend vor seinem Leiden - das ist heute. Dieser Zusatz „das ist heute" verdeutlicht: Wir feiern nicht etwas Vergangenes, sondern etwas, das gegenwärtig geschieht. Wir kommen dem Auftrag Jesu nach: „Nehmt und esst! Nehmt und trinkt!" Wir feiern das Mahl der Gemeinschaft mit ihm und untereinander, denn als Menschen sind wir Gemeinschaftswesen. Das Zeichen des Mahles und das Zeichen der Fußwaschung - sind Zeichen der Liebe und Hingabe Jesu für uns. Er bedient die Mitfeiernden und die Gläubigen dürfen sich verwandeln lassen. Das ist die christliche Hoffnung: Dass nichts so bleiben muss wie es ist. Mahl und Fußwaschung führen den Christen vor Augen, dass Gottesdienst und tätige Nächstenliebe ganz eng zusammengehören.

Der Karfreitag: Die Gedenkminute, das Schweigen für einen Verstorbenen zu Beginn einer Versammlung hat sich gesellschaftlich etabliert. Mit einer Schweigeminute, einem stillen Gedenken beginnt auch die Feier am Karfreitag in der Zeit der Todesstunde Jesu. Priester und Messdiener knien nicht nur zu dieser Zeit der Stille, sondern liegen ausgestreckt auf dem Boden vor dem Altar. Und die Leidensgeschichte Jesus zeigt auf, was Menschen bis heute ungebrochen erleben: Jesus wird von Pontius nach Pilatus geschickt, durch Gaffer und Schaulustige hindurch hat er sein Kreuz zu tragen. Voyeurismus damals wie heute! Doch im Kreuz entdeckt der Christ auch Hoffnungsvolles: Denn betend, sich trotz aller Verlassenheit an Gott haltend, durchmisst Jesus den Abgrund zwischen tiefster Verzweiflung und höchstem Gottvertrauen. Der Mensch kann sich keine andere Welt und Gesellschaft, keine andere persönliche Lebenssituation aussuchen als die, die ihm zukommt. Der Mensch hat seine Gegenwart - so wie sie ist - anzunehmen und durchzutragen: „Sein Kreuz auf sich zu nehmen!" – Er wird von Gott gehalten!

Am Karsamstag wird der Mensch sozusagen an den Rand der Gräber geführt. Er steht da, wo er vielleicht alle Hoffnungen begraben hat. Was empfinde ich am Grab des geliebten Menschen? Ist alles gesagt, getan unter dem Rasen des Vergessens? Wohl kaum. Und es bleiben die Fragen nach dem Warum und Wieso des Leids in dieser Welt.

Die Osternacht: In der Tiefe der Todesnacht besinnen Christen sich zurück auf den Ursprung.(Ähnlich wie der verlorene Sohn sich in seiner tiefsten Krise an die Barmherzigkeit seines Vaters erinnert.) Sie kehren an den Anfang der Geschichte, ihrer Lebensgeschichte und ihrer Geschichte mit Gott zurück. Wachend erwarten sie das Licht der Osterkerze und des Ostermorgens. Ostern feiern Christen das Licht des Lebens, das die Nacht jeden Todes erleuchtet. Sie feiern Gottes Liebe und Gottes Leben. Beide sind mächtiger als der Tod. Im großen Lobgesang auf die Osterkerze, die für den auferstandenen Jesus Christus steht, heißt es: „Dies ist die selige Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach und als Sieger emporstieg. O wahrhaft selige Nacht, in der Christus erstand von den Toten." (Exsultet) Mit großer Freude singt die Gemeinde immer wieder „Halleluja", auf das sie in der ganzen Fastenzeit verzichtet hat. In den Zeichen von Licht und Wasser erinnern sie sich des göttlichen Lebens, das ihnen mit der Taufe zuteil wurde.

In seiner Lebens- und Leidensgeschichte hat Jesus jede menschliche Erfahrung und Dimension durchschritten. Verrat und Freundschaft, Leiden und Angst, Tod und Leben finden sich hier auf engstem Raum und sind gehalten durch das Schicksal Jesu. In der Feier der Heiligen Woche können Christen einen Lebenslehrpfad gehen, der sie neu zum Leben führt, der sie den Sinn des Glaubens und das Geheimnis des Lebens in Gott erleben lässt. Dieser Lebenslehrpfad ist ein Weg, der den Menschen erlösen und befreien will zu neuen und österlichen Menschen.
 

Veröffentlicht: 02.04.2012



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