Predigt von Pfarrer Dr. Klaus Winterkamp in der Fusionsfeier am 30. März 2008

Das waren noch Zeiten, liebe junge und erwachsene Christen, damals in Jerusalem, in der Urgemeinde. Wie hieß das da eben in der Lesung aus der Apostelgeschichte: „Alle, die gläubig geworden waren, … hatten alles gemeinsam. Tag für Tag verharrten sie … im Tempel … und hielten miteinander Mahl“. Oh Gott, oh Gott, oh Gott, seh’ ich förmlich manchen denken – alles gemeinsam? Sogar das Vermögen, den Besitz, das Geld? Und hatten die eigentlich außer Beten nix Vernünftiges zu tun? Und dann auch noch mit denen zusammen essen, an die ich vorher alles abgeben musste – so weit kommt’s noch! Ja, genau, so weit ist es gekommen! Fusion heißt das heute ganz nüchtern, zumindest im Bistum Münster, oder – wie andernorts – Seelsorgeeinheit, Pfarreiengemeinschaft, Pfarrzusammenschluss, Gemeindekooperation, Pfarrverbund, Gemeindeverbund oder ähnlich. Damals aber, in Jerusalem – Lukas wird nicht müde das zu betonen – ging es so nüchtern gar nicht zu. Seiner Darstellung zufolge geschah alles in großer Gemeinschaft, stets einmütig, zusammen, in Freude und Einfalt des Herzens. Ein paar Verse weiter setzt Lukas sogar noch einen drauf: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32).

Nun, da sind wir in Liebfrauen noch nicht. Nicht wenige empfinden – der festliche Gottesdienst heute kann darüber nicht hinwegtäuschen – die Fusion unserer vier Kirchengemeinden zunächst mal als Verlust. In der Tat ist die Fusion mit Einschnitten verbunden, für alle und auf allen Seiten – von den Gottesdienstbesuchern angefangen über die Ehrenamtlichen, die angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bis hin zu den hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Diese Fusion geht nicht spurlos an uns vorüber. Sie ist mit mancherlei Veränderungen verbunden, an die wir uns alle erst noch gewöhnen müssen. Auch das fängt bei der Gottesdienstordnung an, geht über bisher unbekannte Zelebrations- und Predigtstile, die Neuordnung der Finanzen, die Installation – wir hörten es eben – eines Verwaltungsrates, eines gemeinsamen Pfarrgemeinderates, bis hin demnächst zur Aufstellung eines umfassenden Haushaltsplanes oder zur derzeit laufenden Zusammenlegung der Pfarrbüros. Wir müssen uns erst aneinander gewöhnen, an Denk- und Arbeitsweisen, an neue Gesichter und alte Gepflogenheiten. Pfarrliche Eigen- und Selbständigkeit wird aufgegeben, der ein oder andere sich Ehrenamtliche hat darüber das Handtuch geworfen, Vertrautes und lieb Gewordenes bleibt teilweise zurück. Wir müssen Abschied nehmen, nicht einfach nur von jetzt hinfällig gewordenen Pfarrgrenzen, sondern bei weitem grundsätzlicher: von gewohnten Gemeinde- und Priesterbildern, von Seelsorge- und Katechesekonzepten, von der vertrauten Art und Weise ehrenamtlicher und priesterlicher bzw. seelsorgerischer Arbeit, von der bisherigen Gestalt des Pfarramtes. Aber Gott sei Dank auch – dass darf ich, wenn man von außen mit etwas Distanz auf das ein oder andere schaut, wohl sagen – Gott sei Dank auch von manchen etwas eigenartigen und ungewöhnlich anmutenden Marotten.

Wir haben uns diese Fusion nicht gewünscht – das Seelsorgeteam sich nicht, ich mir auch nicht. Wir wollen nicht vergessen, wer hier unserem ehemaligen Weihbischof bis zuletzt ins Angesicht widerstanden hat! Wünschenswert und obendrein theologisch ideal ist etwas anderes: Nämlich genau eine Pfarrei, deren Größenordnung überschaubar ist, die soziologisch irgendwie auf einer „natürlichen Einheit“ basiert, in der man sich noch halbwegs persönlich zu begegnen vermag, in der Strukturen und Institutionen bestehen, die auch ohne ein Betriebswirtschafts- oder Jurastudium von natürlich einem Pfarrer händelbar sind. So wünschten wir uns das, alle. Aber ein Blick über den Tellerrand Bocholts hinaus – es soll ja, selbst wenn ich in den letzten Monaten ab und an mal einen anderen Eindruck hatte, es soll ja auch außerhalb Bocholts noch kirchliches Leben geben – ein Blick über den Tellerrand muss uns ganz sachlich und nüchtern zu der Erkenntnis bringen, dass wir kein Einzelfall sind. Ja im Gegenteil, dass es nahezu überall auf der Welt so zugeht wie neuerdings auch in unserem Dekanat.

Denn die Grundprobleme sind landauf landab dieselben und die Ursachen dafür ebenso. Sie datieren auch nicht erst mit dem 18. Oktober 2007, an dem der Weihbischof die Fusion mitteilte. Blicken wir mal ein bisschen zurück, nicht gleich nach Jerusalem am Ende des 1. Jahrhunderts, sondern nur ins Bocholt der 50er Jahre. Die Pfarreien Hl. Kreuz, St. Helena und Liebfrauen – Herz Jesu war damals noch nicht gegründet – zählten zu dem Zeitpunkt schon mehr Christen als die heute fusionierte Pfarrei zusammen: 17.873 Katholiken. Bocholt umfasste gerade einmal 52.000 Einwohner. In St. Helena besuchten 1953 1170 Gläubige die Sonntagsmesse, in Hl. Kreuz 3604 und in Liebfrauen 4517. Insgesamt also 9291 Kirchenbesucher, sprich 52 %. Damals waren 9 Priester für die drei Pfarreien zuständig. Diese Zahlen muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! 18 Jahre später, 1971 umfassten die vier Pfarreien, jetzt mit Herz Jesu, 19.752 Gläubige. Davon gingen sonntags 822 in St. Helena zur Messfeier, 2575 in Hl. Kreuz, 1710 in Herz Jesu und 2582 in Liebfrauen, immerhin also 7689 Christen, gute 38 %. 10 Priester waren 1972 in den vier Pfarreien tätig. Weitere 19 Jahre später, 1990, gehörten 18.142 Katholiken unseren vier Pfarreien an. Davon gingen in St. Helena 733, in Hl. Kreuz 906, in Herz Jesu 796 und in Liebfrauen 1720 Katholiken zur Kirche, also 4155, das sind 22,9 %. Im Herbst 2007 umfassen die vier Pfarreien 16.989 Katholiken. 387 Gläubige besuchten die Messen in St. Helena, 471 in Hl. Kreuz, 495 in Herz Jesu und 1090 in Liebfrauen, insgesamt 2443 Gläubige, macht 14,39 %. Heute sind, Sie wissen es, vier Priester dafür zuständig. Die Zahl der Gläubigen ist von 1971 bis heute also um fast 3000 Katholiken zurückgegangen. Das ist eine ganze Gemeinde, fast so groß wie Herz Jesu! Der Kirchenbesuch von 52 auf 14 % gesunken, wobei wir damit noch weit über Bistumsdurchschnitt liegen. Die Zahl der Priester von 10 auf 4. Von den Taufen, und Beerdigungen, insbesondere aber den Beichten und Trauungen während dieser Zeit wollen wir hier gar nicht reden.

Kurz: Seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts finden im kirchlichen Leben flächendeckend erosionsartige Zusammenbrüche statt, die noch längst nicht an ihr Ende gekommen sind. Wir haben landauf landab Gläubigenschwund, Nachwuchsmangel, nachlassende Kirchenbindung, Glaubenswissensverlust und v.a. – damit notgedrungen einhergehend – Glaubensschwund. Am Pfingstfest werden in unserem Bistum sage und schreibe drei Diakone zu Priestern geweiht. Dem stehen mindestens 32 Priester gegenüber, die in diesem Jahr das 75. Lebensjahr vollenden und damit, so sie es nicht schon sind, in Ruhestand gehen dürfen. Wir haben in allen seelsorglichen Berufen – nicht nur für den Priesterberuf – ganz einfach keinen Nachwuchs mehr. Und woher soll er angesichts des Glaubensschwunds auch kommen? Das ist einer, wenn nicht der letztendscheidende Grund, weshalb wir landauf landab in der Bundesrepublik Pfarreiengemeinschaften, Seelsorgeinheiten oder – wie hier – Fusionen bilden. Solange unsere Bischöfe nicht grundsätzlich über Struktur, Gestalt, Inhalt und Zugangsbedingungen nicht nur des Priester-, sondern im besonderen des Pfarrerberufes nachdenken, wird sich nicht nur am Nachwuchs, sondern eben auch an dieser Praxis nichts ändern. Zudem müssen wir ganz nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass auch die derzeit irgendwie neu sich artikulierende „Renaissance“ von Religion oder Religiosität an den großen Kirchen hierzulande bisher spurlos vorüber gegangen ist und wohl auch weiterhin folgenlos vorübergehen wird.

Mögen die Gründe und Ursachen dieselben sein, sind die Reaktionen auf diese Entwicklung in den verschiedenen Bistümern so unterschiedlich wie deren Bischöfe. Während die Erzbistümer Paderborn und Freiburg die Selbständigkeit der Pfarreien bestehen lassen und Verbünde oder Einheiten bilden, die dann von einem gemeinsamen Seelsorgeteam pfarrübergreifend betreut werden, hat unser Nachbarbistum Essen die Zahl der Pfarreien radikal von 259 auf 43 reduziert. Die größte, St. Urbanus in Gelsenkirchen-Buer, umfasst mehr als 44.000 Gläubige. 96 Kirchengebäude werden vom Bistum Essen zukünftig nicht mehr aus Kirchensteuermittel finanziert. Von den 438 Kirchen im Bistum Hildesheim sollen 80 definitiv profaniert werden, 86 weitere werden nicht mehr durch das Bistum bezuschusst und bei 56 anderen besteht noch Klärungsbedarf. Nur 197, also weniger als die Hälfe, sollen unbedingt erhalten werden.

Angesichts solcher Lösungen sind wir im Bistum Münster mit dem Konzept, zu gegebener Zeit, bei Bedarf und personellen Veränderungen eine Fusion anzustreben, noch relativ gut dran, mag das auch nicht immer bis ins letzte durchdacht sein. Es ist – wie gesagt – nicht die beste, die Ideallösung, es ist aber auch nicht die schlechteste, sprich die Tabula-rasa-Methode. Das gilt übrigens nicht nur im Blick auf die bundesrepublikanischen Verhältnisse. Wer die Fastenpredigt von Pfarrer Andreas Schultheiß in St. Georg gehört oder noch im Ohr hat, was Pater Deutmeyer – einer unserer Heimatmissionare aus Südafrika – im vergangenen November von dieser Stelle aus gepredigt hat, der weiß, dass wir angesichts der Fusion auf relativ hohem Niveau stöhnen. Von einem Priester für 10 große Pfarreien war da die Rede, von einer monatlichen Messfeier einschließlich aller Taufen und aller Trauungen versteht sich, von selbst organisierten Begräbnissen, von fehlenden Kindergärten und Schulen. Im Vergleich dazu ist alles, was mit unserer Fusion verbunden ist – sogar die Einschnitte, Kompromisse und Veränderungen –, noch goldig und rosig.

Nüchtern und sachlich betrachtet ist die Fusion kein Grund zur Schwarzseherei. Dadurch jedenfalls geht das christliche Leben hier nicht unter. Wodurch es langfristig gesehen untergehen könnte, das habe ich eben schon deutlich gemacht. Abgesehen davon hat die katholische Kirche in dieser Stadt schon bei weitem schwierige Perioden gesehen, während der Reformation und der nachfolgenden Glaubenskriege beispielsweise. Johann ten Weghe, damaliger Inhaber des einzigen katholischen Pfarramtes St. Georg war ein durch und durch verkommener Pfarrer, der 1570 abgesetzt und aus der Stadt verwiesen wurde. 1564 war innerhalb von 2 ½ Jahren nur ein einziges Mal eine hl. Messe gefeiert worden. Auch im Vergleich dazu ist alles, was mit der Fusion verbunden ist – sogar die Einschnitte, Kompromisse und Veränderungen –, goldig und rosig.

Umgekehrt wird man sich ebenso sachlich und nüchtern vor Euphorie und übermäßigen Erwartungen hüten. Das Christentum gibt es in Bocholt seit über 1200 Jahren. Seit fast 700 Jahren wird an dieser Stelle hier gebetet, gesungen und Gottesdienst gefeiert. Wir sollten also nicht so tun, als würden wir durch die Fusion das Rad neu erfinden. Sie ist keine Neugründung, sie ist kein Neuanfang, sie ist schlicht und einfach die Zusammenlegung von vier Pfarreien zu einer. Nicht mehr und nicht weniger. Sie wird auch nicht die letzte sein, wissen wir doch, dass St. Paul immer noch vor den Mauern liegt. Es ist also klipp und klar, dass wir eines Tages noch mal fusionieren werden. Weder durch diese noch durch zukünftige Fusionen kommt es zu einer Blüte des christlichen und kirchlichen Lebens. Wir werden keine in die Höhe schnellenden Beicht- oder Trauungszahlen erleben oder den Messbesuch wieder auf unvorstellbare 52 % klettern sehen. Ebenso wenig wird die Pfarrei Liebfrauen nicht von heute auf morgen ein Herz und eine Seele. Wir kennen es nur zu genau – auch aus den neuerdings stellenweise so apostrophierten „Single-Gemeinden“, will sagen den nicht fusionierten Pfarreien: die Kleinkrämerei und Engstirnigkeit, den Egoismus und die Selbstbezogenheit, in der der eine dem anderen die Butter auf dem Brot nicht gönnt, oder den Schrank im Pfarrheim nicht oder die Kaffeekanne im Schrank nicht – oder was immer man sich an kleingeistiger Pfarrwirtschaft so denken kann.

Das war übrigens in der Jerusalemer Urgemeinde nicht anders. Wir wissen vor allem aus den Paulusbriefen, aber auch aus der Apostelgeschichte, dass das Leben der frühen Gemeinde keineswegs so konfliktlos war, wie Lukas es hier beschreibt. Im 15. Kapitel berichtet er von der großen Aufregung und dem heftigen Streit, der aus der Frage nach der Beschneidung für Heidenchristen entstand. Lukas ist also keineswegs der Auffassung, in der Urgemeinde sei alles eitel Sonnenschein gewesen. Dennoch sieht er in der Urgemeinde von Jerusalem das Idealbild jeder Christengemeinde. Das Ideal einer Gemeinde, in der Menschen unterschiedlichster Art dennoch in Wohlwollen und Achtung voreinander zusammenleben.

Dabei ist es eine der wichtigsten Aufgaben, das Ganze im Blick zu behalten und von daher denken zu lernen. Das ist nicht allein meine, des Pfarrers Aufgabe! Das kann man auch nicht bloß dem Seelsorgeteam überlassen! Das haben alle zu lernen, die haupt-, neben- oder ehrenamtlich in der Pfarrei, in ihren Gruppen, Vereinen und Verbänden tätig sind. Natürlich ist es nicht leicht und es wird auch nicht jedes Mal auf Anhieb gelingen, immer alle im Blick zu behalten: alle sieben Tageseinrichtungen für Kinder, alle 141 fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, alle 76 Erzieherinnen und Erzieher, alle Kolpingfamilien oder Caritasgruppen oder Kindergruppen, alle mehr als tausend Ehrenamtliche und schon gar nicht alle 17.000 Gläubigen. Aber es ist schon ein großer Schritt, wenn die eigenen Anliegen, Interessen, Aufgaben und Inhalte – mögen sie auch noch so berechtigt und ehrenvoll sein – immer auch mit dem Gedanken an jene anderen betrachtet werden, die möglicherweise dieselben oder aber ganz entgegenlaufende Ziele haben. Selbst wenn klar ist, dass die Identifizierung vieler mit der neuen Situation zunächst über „ihre Kirche“, „ihre Gruppe“ oder „ihr“ örtlich verankertes Engagement läuft, darf daraus kein Kirchturmdenken werden. Was das Ganze betrifft, bleibt nicht zuletzt nüchtern zu realisieren, dass die meisten Pfarreimitglieder, ca. 80 %, die Fusion – trotz BBV, WMW, WMTV usw. – nicht nur gar nicht wahrnehmen, sondern emotional auch vollkommen kalt lässt.

Das Denken und Sehen vom Ganzen her betrifft auch die Gottesdienstordnung. Die notwendigen Änderungen haben den ein oder anderen dazu veranlasst, zu sagen: „Dann goa ick eben annerswohän, wenn die sundags um tein kine Miss mehr liäsen küent!“ Nun, vor dem Hintergrund des eben geschilderten Glaubensschwunds ist diese Reaktion mehr als in Ordnung. Ohne natürlich irgendjemanden einfach leichthin ziehen zu lassen, freu ich mich trotzdem, wenn ich höre, dass die Messfeier in St. Paul sonntags wieder besser besucht sei als in der Vergangenheit. Beschwerden aus St. Georg, die Abendmesse samstags sei inzwischen so voll, dass man schon fünf Minuten vor Messbeginn keinen Sitzplatz mehr bekäme, nehm ich gern entgegen. Mal abgesehen davon, dass man ruhig noch ein paar Minuten früher zur Messe kommen darf, mal abgesehen davon kann doch eigentlich jeder nur froh darüber sein, wenn eine Messfeier gut oder – noch besser – sehr gut besucht ist. Beschwerden über zu volle Kirchen jedenfalls stoßen bei mir grundsätzlich auf taube Ohren. Ganz im Gegenteil! Soll ich mich als Priester etwa beklagen, wenn Christen willig und bereit zur wichtigsten Feier ihres Glaubens kommen? Solche Beschwerden kann man ja mal an den Dechanten richten, aber soweit ich den kenne, denkt der darüber auch nicht viel anders. Schlimmer allerdings ist die Reaktion: „Dann bliew ick eben tu Hus“. Sie ist absolut kontraproduktiv, was übrigens nicht nur hinsichtlich des Messbesuchs gilt. Sich zu abzukapseln und zu absentieren von den anderen ist schon Thomas nicht gut bekommen, wir hörten es im Evangelium. Eine solche Entscheidung trifft gerade die nicht, die sie vermutlich treffen soll. Sie trifft immer nur die anderen, die anderen treuen Gottesdienstbesucher, die anderen Ehrenamtlichen, die hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sprich: die vor Ort – nicht die in Münster oder so. Solche Entscheidungen sind nichts anderes als Wasser auf die Mühlen derer, die ohnehin der Auffassung sind, Fusionen seien angesichts des beschriebenen Schwunds der einzig richtige Weg. Je mehr zu Hause bleiben, je eher werden Kirchen, Pfarrzentren und andere gemeindliche Gebäude geschlossen. Wenn am Ende – wie derzeit schon in der evangelischen Kirche zu beobachten – die Mehrheit der Christen sonntags vor dem Fernseher sitzt, um einen Gottesdienst zu verfolgen, weil bequemer oder zeitlich angenehmer, dann ergibt sich in der Tat irgendwann die Frage, ob wir für eine Minderheit die ganzen Kirchengebäude noch unterhalten können?

Es stellt sich in diesem ganzen Zusammenhang eben auch die Frage, was uns die Eucharistiefeier wert ist. Sie stellt sich jedem von uns ganz persönlich. Was bedeutet sie mir? Welchen Stellenwert hat sie für mein Christsein? Bedeutet sie mir so viel, dass ich, wenn ich nun mal nur samstags gehen will, dafür auch eine weitere Wegstrecke auf mich nehme? Ist sie mir so viel wert, dass ich, wenn ich eben nur um 10.30 Uhr gehen will, sogar mal nach Herz Jesu oder Hl. Kreuz komme? Bin ich bereit, vielleicht den ein oder anderen, der eben nicht so mobil ist wie ich, ins Auto zu packen und mitzunehmen? Das sind auf Dauer nicht nur für uns, sondern generell für die Kirche hierzulande die existenziellen, die alles entscheidenden Fragen – nicht die nach dem Standort des Pfarrbüros, dem Namen oder Erscheinungsraum des Publikationsorgans oder der Anzahl der Ferienlager oder all die anderen sekundären und tertiären Problemchen, über die man sich so aufzuregen vermag.

Schon die Kirchenväter wussten, dass man nur wandelt, was man annimmt. Sprich: dass man nur dann fruchtbar, produktiv und gewinnbringend mit einer Situation umzugehen vermag, wenn man sie akzeptiert. An der Fusion ist nichts zu ändern. Je eher wir das akzeptieren, treten im Laufe der Zeit auch noch deutlicher ihre positiven Seiten zu Tage – und damit meine ich nicht nur die volleren Kirchen. Schon jetzt merken wir im Kindergartenbereich angesichts des gerade von der Landesregierung beschlossenen Kinderbildungsgesetzes, dass es für die Einrichtungen als solche, aber auch für die Kinder und Erzieherinnen gut ist, sieben Einrichtungen unter einer Trägerschaft vereint zu haben, garantiert sie doch eine größere Arbeitsplatzsicherheit und die Sicherung des Qualitätsstandards. Was hier für den arbeitsrechtlichen Bereich gilt, trifft dauerhaft sicher auch auf den Bereich der Katechese zu. Gegenseitige Bereicherung sichert auch hier die Qualität und Standards, ganz abgesehen von der Arbeitsersparnis für alle Beteiligten, wenn nicht alljährlich vier Erstkommunion-, Beicht- oder Firmkonzepte hochgefahren werden müssen. Im Pfarrbüro können wir Urlaubs- und Ferienzeiten ohne Probleme personell bewältigen. Im gottesdienstlichen Bereich vertreten sich schon jetzt unsere Küster gegenseitig. Überhaupt sind nicht wenige froh darüber, nicht jeden Sonntag die gleiche Person am Altar sehen und hören zu können. Ich weiß, dass wir – die hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger – nicht allen alles recht machen, auch im gottesdienstlichen Bereich nicht. Der eine predigt zu bollerig, der nächste zelebriert zu langsam, die eine spricht zu langweilig und der übernächste feiert die Messe zu schnell. Dass Frau Abshoff jetzt auch in Hl. Kreuz die Orgel spielt, will dem ein oder anderen einfach nicht in den Kopf. Doch bietet die Fusion auch auf kirchenmusikalischen Gebiet Möglichkeiten, die wir – in Rücksprache mit dem BGV – voll ausschöpfen werden. Ich weiß, Sie, liebe junge und erwachsene Christen, sind natürlich gerade immer in der Messe, in der ausgerechnet wieder mal Ihr „ganz persönliches Dreamteam“ die Gestaltung übernommen hat. Aber versuchen Sie es doch mehr und mehr unter dem Aspekt der Bereicherung und der Abwechslung zu sehen. In Pfarreien, in denen seit 30 Jahren immer ein und derselbe Pfarrer die Gottesdienste leitet, sieht es nicht besser auch als bei uns, ganz im Gegenteil. Es geht nur mit uns. Und selbst, wenn im Herbst noch ein weiterer Priester dazustoßen mag – glauben Sie bitte nicht, dass das der Messias oder der Retter der Welt sei, den wir „Hosianna“ rufend begrüßen werden!

Es geht nur – wie es unser überarbeitetes wöchentliches Blättchen schon im Titel sagt – es geht eben nur miteinander. In einer Zeit, in der der Glaube immer weniger selbstverständlich ist, selbst in Bocholt, ist es wichtig, den Glauben miteinander zu leben. Es ist wichtig, dass wir in unserer Pfarrei erfahren können: Da sind andere, die manchmal genau so unsicher sind wie ich, die Fragen haben wir ich und doch versuchen, aus ihrem Glauben Mut, halt, Orientierung und Lebensfreude zu schöpfen. Es ist wichtig, dass diejenigen, die immer wissen, was zu tun ist, was falsch oder richtig ist, sehen, dass es auch noch andere in unserer Pfarrei gibt, die es mindestens genauso gut wissen. Die Kirche unserer Tage und Zeit steckt in einem Lernprozess, der noch Jahrzehnte dauern wird und dessen Ende wir alle nicht mehr erleben werden. Der Diskurs um etwaige zukünftige Gestalten und Formen dieser Kirche wird offen und ehrlich ausgetragen werden müssen. Sie lassen sich nicht alle vorschnell versöhnen. Und doch müsste es möglich sein, dass Menschen auch in unserer Pfarrei sich trotz unterschiedlicher Standpunkte und trotz sachlichen Streits gegenseitig respektieren, vielleicht sogar schätzen und mögen.

Was die Zeitgenossen der Jerusalemer Urgemeinde am meisten überraschte, war der alternative Lebensstil der Christen mit ihren Mitmenschen und mit ihrem persönlichen Besitz. Das ist der Kern dessen, was wir von der Idealisierung des Lukas in der Apostelgeschichte festhalten können. Der Umgangsstil erinnerte an Jesus und daran, wie er mit den Menschen, mit der Welt umgegangen ist. Das muss irgendwie überzeugend gewirkt haben! Bestimmt dieser Umgangsstil im miteinander auch unsere Pfarrei, werden auch die anderen Erkennungszeichen der Urgemeinde automatisch überzeugend sein und an Jesus erinnern: unsere sonntäglichen Versammlungen, unser gemeinsames und persönliches Gebet und unser gemeinsamer Glaubenssinn aus einer gesunden Tradition, die „alles prüft, das Gute behält“ – wie Paulus sagt – und damit für die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft bestens gewappnet ist. Amen.

Veröffentlicht: 30.03.2008



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