Impuls am Abend - Versucht uns Gott mit der Coronakrise?

„Das kann ich nicht beten“. Gemeint ist die Bitte im Vaterunser: „und führe uns nicht in Versuchung“. Viele Menschen haben diese Schwierigkeit. Sie sind in guter Gesellschaft. 2017 hat die französische Bischofskonferenz die bisherige Formulierung „unterwirf uns nicht der Versuchung“ geändert in „lass uns nicht in Versuchung geraten“. Vorher hatte Papst Franziskus in einem Fernsehinterview gesagt, „führe uns nicht in Versuchung“ sei keine gute Übersetzung. Es sei nicht Gott, der den Menschen in Versuchung stürze, um zu sehen, wie er falle. Auch in Italien lautet die offizielle Fassung jetzt „überlasse uns nicht der Versuchung“. Ich habe bei uns immer wieder die Formulierung gehört „führe uns in der Versuchung“.

Die deutsche Bischofskonferenz hat nach langer Diskussion beschlossen, die alte Übersetzung beizubehalten. Viele Bibelwissenschaftler hatten gesagt, dass diese Übersetzung genau dem biblischem Text entspricht. Ich persönlich kann mit der alten Formulierung gut leben und beten.

Die neuen Formulierungen versuchen, die Verantwortung für die Versuchung von Gott fernzuhalten. Woher kommt sie dann? Der Papst sagt: „Wer dich in Versuchung führt, ist Satan“. - Damit wird das Weltgeschehen aufgeteilt in den Bereich Gottes und des Satans (oder wie immer man diese Wirklichkeit nennt: „Satan“, „Teufel“, „der Böse“ oder „das Böse“). Es ist der Versuch, einerseits das Böse (Versuchung) nicht zu verdrängen und andererseits doch am gütigen Gott festzuhalten.

Aber ist es nicht eher so, wie zwei Versuchungsgeschichten zeigen? 
Bei der Versuchung Jesu heißt es, der Geist (Gottes) führte Jesus in die Wüste, damit er vom Teufel versucht werde. 
Bei der Versuchung Hiobs tritt Satan auf als eine Figur im himmlischen Hofstaat, der von Gott die Erlaubnis bekommt, Hiob zu versuchen. Gott versucht zwar nicht unmittelbar, ist aber letztlich dafür verantwortlich. Deshalb kann man m.E. sagen: „Gott versucht“.

Als Christen beten wir zum Gott Israels als dem Herrn der ganzen Wirklichkeit. Dazu gehören auch die dunklen Seiten der Wirklichkeit – und auch Gottes. Das Vaterunser zeigt Gott nicht nur als den lieben Vater. Das ist er auch. Aber es gibt auch Seiten an Gott, die wir nicht verstehen, die dunkel sind und uns fragen und zweifeln lassen. Gott bleibt ein Geheimnis.

Eine sprachliche Beobachtung erleichtert mir, die alte Formulierung zu beten. „Versuchung“ verstehen wir in der Regel moralisch als Versuchung zum Bösen. Aber wir kennen noch eine andere Bedeutung. „Versuchung, versuchen“ kann auch meinen „etwas ausprobieren“, „auf die Probe stellen“, „prüfen“. Das zeigt die Szene, in der ein Gesetzeslehrer Jesus fragt: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Sie wird eingeleitet mit: „… um Jesus auf die Probe zu stellen“. Das griechische Wort, das auch mit „versuchen“ übersetzt wird, ist hier mit „auf die Probe stellen“ wiedergegeben.

Im Blick auf die Corona Pandemie behaupten zum Glück nur noch wenige, nicht ernst zu nehmende Leute, sie sei eine Strafe Gottes. Aber kann man diese weltweite Epidemie nicht als Probe Gottes deuten? Ich meine wohl. Ich meine, sie ist ein „Zeichen der Zeit“, das wir im Lichte des Glaubens betrachten sollen. Mit dieser schlimmen Seuche werden wir herausgefordert und auf die Probe gestellt, ob wir als Weltgemeinschaft zur Besinnung kommen und endlich die Schöpfung nicht ausbeuten, sondern pflegerisch mit ihr als unserem gemeinsamen Haus umgehen, wozu Papst Franziskus schon vor fünf Jahren in seiner Enzyklika „Laudato si“ eindringlich aufgefordert hat. Die Ausbreitung des Virus wurde ja durch den Missbrauch der Schöpfung ermöglicht. Ich meine, dadurch kann man sich beim Beten des „führe uns nicht in Versuchung“ herausgefordert fühlen. Zu recht fügen wir die Bitte an: „erlöse uns von dem Bösen“. Eine Probe kann unerhört schwer sein und wir wissen nicht, ob wir sie bestehen.

Es ist richtig, sich beim Beten Gedanken zu machen und nicht zu plappern. Aber im Gebet drücken wir unsere Beziehung zu Gott aus und da betet nicht nur der Kopf, sondern vor allem das Herz. Auf den Wortlaut einzelner Formulierung kommt es dann nicht an.

Im Gebet verbunden grüße ich Sie, 
Ihr Hans Döink
Veröffentlicht: 12.07.2020



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