Impuls am Abend - Auf der Walz

Am Dienstagabend klingelte es gegen 19.00 Uhr an der Pfarrbürotüre. Mit Claas Krosse, dem Praktikanten, war ich noch im Büro, um einige Dinge für den nächsten Tag vorzubereiten. Ich überlegte kurz, ob ich überhaupt reagieren und öffnen sollte. Schließlich war die Öffnungszeit längst vorbei. Ich ging zur Türe und öffnete sie.
 
Da stand eine junge Frau vor mir in Gesellenkluft und bat um die Gunst, ihr eine Bitte zu gewähren. Ihre Worte in Reimform. Ihre Bitte: Ihr eine Schlafstätte zum Übernachten zu gewähren. Die Gedanken ratterten in meinem Kopf: Es ist schon 19.00 Uhr. Wo soll sie bleiben? Die Gästewohnung ist belegt. Das Gäste-Appartement auch. Platz für Isomatte, wie sie meinte, fand ich ungastlich. Das Gästezimmer ist gerade Abstellkammer, nicht aufgeräumt und vorbereitet. Usw. Ich bat sie erst einmal herein und ließ sie Platz nehmen mit dem Hinweis, dass ich einen Moment bräuchte, um eine Übernachtungsmöglichkeit zu schaffen. Nach einem kurzen Moment hatte ich mich entschieden: Die angefangene Arbeit bleibt liegen, das Gästezimmer im Pfarrhaus muss geräumt und bereitet werden. Nur so geht es, nur das ist eine echte gastfreundliche Unterkunft.
 
So entschlossen teilte ich ihr mit, dass in einer Stunde eine Unterkunft klar wäre. Die Zwischenzeit wollte sie nutzen, um in der Nähe etwas zu Abend zu essen. 20.00 Uhr am Pfarrhaus hatten wir abgemacht. Die Zwischenzeit nutzte ich, um mit Claas das Gästezimmer herzurichten: abgestellte Sachen wegräumen, Fenster öffnen und lüften, Bett beziehen, Stuhl zum Sitzen hinstellen, im Bad Tücher bereit legen; im Zimmer noch ein Glas und eine Flasche Wasser bereit stellen. In Windeseile hatten wir zwei das geschafft. Und während wir dies erledigten, ließ ich Claas an meinem geringen Wissen über Gesellen auf der Walz teilhaben. Und dann klingelte es.
 
Beim Öffnen der Haustüre war der Überraschung von vorher ein freundliches „Hallo“ des Wiedersehens gewichen. Henni, so der Vorname der Wandergesellin, zeigte ich zunächst ihr Zimmer mit der Möglichkeit, sich zunächst einmal kurz zurückzuziehen, den Rucksack abzulegen und auszupacken. Klar war aber auch das gegenseitige Interesse, sich an diesem Abend noch etwas zusammen zu setzen, zu erzählen und voneinander zu hören. Wer bist du, was machst du? Es ging aber auch um Lebensläufe, Einstellungen, Haltungen, Lebensweise und Lebensformen, über Gott und die Welt. Das es jemanden wie mich noch gibt, einen Priester im zölibatärer Lebensform, hat Henni überrascht. Sie erzählte uns viel vom Leben auf der Walz, wie sie dazu gekommen ist, seit wann sie unterwegs ist, wie sie die Strecken zurücklegt und wo sie während ihrer Wanderjahre schon überall gewesen ist. Das hat uns sehr beeindruckt. Und für Claas war das alles neu, ein Eintauchen in eine für ihn bis dahin völlig unbekannte Welt.
 
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück durften Claas und ich uns noch mit Namen und Stempel in ihrem Wanderbuch verewigen. – Und dann bedankte und verabschiedete sich Henni von uns mit einem längeren gereimten Spruch des Dankes und der guten Wünsche. – Beeindruckend! – Eine besondere Begegnung in dieser Woche, ein unverhoffter Gast und ein Abend, der völlig anders verlief als gedacht.
 
Diese Begegnung erinnerte mich an Matthias und Jonas, die beiden Radler, die ich vor drei Jahren zur Übernachtung zu Gast hatte, und an die Pfadfindergruppe mit ihren beiden Leitern, die aus Nottuln kommend auch schon bei mir abends überraschend vor der Türe standen und um Unterkunft baten.
 
Ein Geschenk und eine Bereicherung fürs eigene Leben solchen Menschen wie Henni begegnen zu dürfen.
  
Rafael van Straelen
 
Veröffentlicht: 19.03.2021



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