Freiwillige Helfer erzählen: Bericht aus Euskirchen

Die Flutkatastrophe in Deutschland und Mittel-Europa läuft in den Nachrichten aktuell hoch und runter. Doch niemand kann wirklich das ganze Ausmaß dessen, was dort passiert ist, verstehen.
Die Bilder in den Nachrichten wirken schockierend, doch es kommt nicht annähernd der Realität nahe. Als Helfer waren wir die letzten Tage im Kreis Euskirchen eingesetzt.
Schon bei Anreise in der Nacht sieht man in einem Vorort, wie Menschen am Straßenrand die Keller auspumpen. Die Straße steht unter Wasser, es fließt nur langsam ab. Bereits hier nimmt man den modrigen, abgestandenen Geruch wahr. Nach einiger Zeit riecht man es längst nicht mehr. Am Tage dann das ganze Ausmaß der Zerstörung.
Meterhoch türmen sich die Überreste an den Straßen, teils höher als die 1. Etage. Steigt man aus, muss man schon den Kopf in den Nacken legen, um noch das obere Ende des Schuttbergs zu sehen. Überall liegen Elektrogeräte, Schränke, Kleidung und Geröll.
In ein Haus können wir hineinsehen. Die Flut hat die gesamte Außenfassade mit sich gerissen. Davor steht eine Gruppe von Menschen. Anwohner und Hilfskräfte diverser Hilfsorganisationen, der Bundeswehr und Feuerwehrkräfte, die gemeinsam den Schutt des Nachbarhauses nach draußen tragen. Wir blicken in vom Schlamm verschmutzte Gesichter. Erschöpfung und Mutlosigkeit steht auf ihnen geschrieben. Sie alle haben nichts mehr. Das eine Haus ist völlig zerstört – einsturzgefährdet. Betreten sollen sie es nur noch um leicht verderbliche Lebensmittel herauszuholen. Aus Angst vor Ratten.

Wir sprechen mit den Leuten. Sie selber können es noch gar nicht begreifen. Sie haben nichts mehr, stehen vor dem Ruin. Ob die Versicherung zahlt bleibt noch abzuwarten. Einige haben schon telefoniert – die Versicherung zahlt nicht. Nun sind sie auf Hilfe von anderen angewiesen. Es gibt kein frisches Wasser – die Leitungen könnten verseucht sein-, es gibt keine Infrastruktur. Nur langsam kommt das Mobilfunknetz zurück; damit man Angehörige kontaktieren kann.
Doch auch dies ist nicht immer einfach. Wir erinnern uns an einen älteren Mann. Er war von den Fluten weggerissen worden. Das Krankenhaus hat ihn nach seiner Entlassung zu uns in die Notunterkunft bringen lassen. Er selbst trägt notdürftig geflickte Schlappen, welche ihm halb vom Fuß fallen und ein dünnes Hemd sowie eine kurze Hose. In seinen Armen hält er eine Tüte vom Krankenhaus mit Medikamenten. Stolz reicht er uns seine Krankenversicherungskarte– das einzige Ausweisdokument, welches er hat retten können. Ansonsten besitzt er nichts mehr.
Er erzählt uns, dass er seine bettlägerige Frau sucht. Er habe sie in der Nacht der Flut das letzte Mal gesehen. Einige andere Unterkunftsbewohner nehmen sich seiner an. Gemeinsam schauen wir, ob wir Informationen über seine Frau erhalten können. Er ist nur ein Beispiel von vielen, die wir dort hatten.
Als wir abgelöst werden, haben wir noch keine Information bekommen. Auch nach einer Woche wissen wir nicht, wie dieser Fall oder die anderen ausgegangen sind. Haben die Angehörigen sich wiedergefunden? Gab es ein Happy End? Gibt es Gewissheit – egal, wie sie aussieht? Es sind Fragen, die uns nicht loslassen. Schicksale die uns betroffen machen. Es macht uns sprachlos, verschlägt uns den Atem.
Wir nehmen jedoch nicht nur dies nach einem anstrengenden Einsatz mit nach Hause. Wir nehmen auch die Dankbarkeit mit nach Hause. Die Dankbarkeit, die die Menschen zeigen, weil sie Hilfe bekommen; weil sie nicht alleine sind. Als wir wieder fahren, stehen die Anwohner und Notunterkunftsbewohner Spalier und klatschen. Wir bekommen Gänsehaut.
Für uns ist der Einsatz damit für das Erste getan. Ob wir noch mal angefordert werden ist noch offen. Doch das Leid und die Not verschwinden nicht. Sie werden bleiben – noch für eine sehr lange Zeit.
Veröffentlicht: 23.07.2021



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