Statement zu der hohen Zahl an Kirchenaustritten

Die hohe Zahl der Kirchenaustritte, die beim Amtsgericht Bocholt im Jahr 2021 erfolgten und aktuell weitergehen, - das BBV berichtete – erschrecken und sind zugleich nachvollziehbar und verständlich. Wir Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Pfarreien vor Ort haben den Eindruck, dass die Kirchenaustritte eine neue Qualität haben. Sie sind Zeichen und Ausdruck einer großen Unzufriedenheit mit der Kirche. Selten ist der Kirchenaustritt Ausdruck dessen, dass der Mensch nichts mehr mit dem christlichen Glauben zu tun haben will. Im Gegenteil: Oftmals ist er eher religiös interessiert und suchend; lebt er seine persönliche Glaubensbeziehung und sind die christlichen Werte ihm wichtig.
In Gesprächen mit Gläubigen hören wir, dass es auch den kirchlich sehr verbundenen und engagierten Christinnen und Christen zunehmend schwerfällt, sich mit der Kirche zu identifizieren; im Gegenteil: Immer stärker haben engagierte Gemeindemitglieder auch in der Familie, im Bekannten- und Freundeskreis sich zu rechtfertigen, warum sie noch in der Kirche sind oder gar mitmachen.
Manche sagen und setzen deutliche Zeichen, dass sie das Verhalten der Bischöfe und Kirchenleitungen (Verschleppung der Aufarbeitung der Verbrechen von sexueller Gewalt, keine Übernahme von Verantwortung und keine personellen Konsequenzen, kein wirklicher Reformwille) nicht weiter hinnehmen wollen und können. Viele können diese Diskrepanzen nicht mehr aushalten. Sie treten aus.
Ich kann das nachvollziehen und habe Verständnis dafür. Und zugleich stimmt es mich auch traurig. In meiner Predigt in den Gottesdiensten am Samstag/Sonntag, 22./23. Januar 2022, also im Nachgang zur Veröffentlichung der Missbrauchsstudie für das Erzbistum München-Freising, habe ich deutlich Stellung bezogen und meine Solidarität erklärt gegenüber allen, die jetzt noch mehr enttäuscht, irritiert und wütend sind. Eine Solidarität gilt zunächst und zuerst jenen, die Betroffene sind der Verbrechen sexualisierter Gewalt durch Personen der Kirche. Meine Solidarität gilt jenen, denen es zunehmend schwerfällt, in der Kirche zu bleiben; und jenen, die es nicht mehr aushalten, die sich abwenden und austreten.
Es fällt den Gläubigen auch zunehmend schwer, die „kirchliche Großwetterlage“ und das kirchliche Leben vor Ort in den Gemeinden differenziert zu sehen, da zu unterscheiden.
Wir Seelsorgerinnen und Seelsorger begegnen immer wieder in unserer pastoralen Arbeit Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind: bei Taufen und Trauungen, in der Kommunionvorbereitung, bei Erstkommunionfeiern und Firmungen, bei Trauerfällen.
Persönlich ist meine Haltung: Ich muss nicht die Kirche lieben, schon gar nicht die Amtskirche. Ich liebe die Gemeinschaft der Glaubenden, der Christinnen und Christen. Ich muss mich nicht zur Kirche bekennen. Wichtig ist, dass ich mich zu Jesus Christus und seiner Botschaft bekenne. Dass ich von dem Gott erzähle, der Liebe ist und den Menschen bedingungslos liebt. Pastoralreferentin Sonja Stratmann hat dies in ihrer Zeitungspredigt am vergangenen Samstag dargelegt.
In den Kirchengemeinden vor Ort gehen wir einen anderen Weg als die „offizielle“ Kirche. Wir versuchen Brücken zu bauen – gerade auch in die reale Lebenswirklichkeit der Menschen heute -, damit die Menschen das erhalten, was sie für ihr Christsein an Halt und Orientierung suchen. Aktuell zeigt sich dies auch im Umgang mit queeren Menschen. Kirchliche Einrichtungen und Verbände, sowie die Kirchengemeinden St. Gudula Rhede und Liebfrauen in Bocholt haben bzgl. des Arbeitsverhältnisses grundsätzliche Beschlüsse gefasst. Dies gilt es auch zu leben: Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Lebensform, sind uns willkommen. Die aktuellen Beschlüsse und Stellungnahmen spiegeln wider, was z. T. schon seit Jahren gelebt wird. Aber es ist wichtig, dass es öffentlich wird. Das gehört zu einem ehrlichen Umgang mit der Wirklichkeit und einem respektvollen Verhalten gegenüber den Menschen.
In der Fastenpredigtreihe unter dem Motto „Die Kirche ist offen“ werden wir auf die Offenheit für queere Menschen, für ausgetretene Christen, für Gäste und neue Wege eingehen. Auch die Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, sind und bleiben herzlich willkommen.

Rafael van Straelen
Veröffentlicht: 05.02.2022



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