Predigtreihe Was sagt mir „Gott“?

„Gott ist kein Gegenstand unserer Erfahrung“ sagt der Theologe Otto Hermann Pesch. Worüber wir nicht reden können – müssen wir darüber schweigen? Nein. Die entscheidenden Dinge unserer Existenz lassen uns nicht in Ruhe, selbst wenn wir oft genug so leben, als ob es Gott nicht gäbe. In kritischen Erfahrungen aber bricht es doch wieder in uns auf: Wer ist Gott, was ist Gott, gibt es Gott, was sagt mir Gott? Dazu hat die Wochenzeitschrift „Christ in der Gegenwart“ Persönlichkeiten des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens gefragt. In den Sonntagsgottesdiensten der diesjährigen Sommerferien stellen wir eine Auswahl der eingegangenen Antworten vor.




7. Feriensonntag, 4./5. September 2004

Zum Ferienende und Schulbeginn: Schülerinnen und Schüler

Gott ist jemand, der vielleicht existiert, hilft oder Trost spendet, rational jedoch nicht zu erfassen ist. Angesichts der vielen Probleme auf der Welt, wie Hungersnöte, Terroranschläge oder sonstigem Leid, das den Menschen widerfährt, ist es fraglich, ob es wirklich einen Gott gibt, der über die Menschen wacht und ihnen in gewissen Situationen hilft. Für mich bedeutet Gott oder Glaube auch keineswegs, jeden Sonntag in die Kirchen zu "rennen", um für etwaige Schandtaten der Woche Buße zu tun, wie es für viele Menschen verpflichtend zu sein scheint. Trotz alledem denke ich, dass es einen Gott in irgendeiner Form gibt, an den man seine Sorgen und Ängste richten kann. Auch scheint die Ursache allen Lebens nicht durch einen Zufall entstanden zu sein. Vielmehr bin ich der Meinung, dass hierfür Gott verantwortlich sein muss. Letztendlich kann die Frage jedoch nicht vollkommen beantwortet werden. Nur so viel: Ich bin der festen Überzeugung, dass es einen Gott gibt, der uns in den meisten Situationen bei Seite steht.

Carsten Eichner, Mengen, Gymnasium, Grundkurs 12

 

Ein Leben mit Gott bietet mir genau so viele Perspektiven wie ohne. Zudem ist die tägliche Auseinandersetzung mit Gott ein leidiges und zeitaufwendiges Thema. Daher verzichte ich auf die Anwesenheit von Gott und komme damit auch bestens zurecht.

Marco Brune, Olpe, St.-FranziskusGymnasium, Jahrgangsstufe 11

 

Wer ist Gott für mich?
Was ist Gott für mich?
Warum ist Gott für mich?
Schon seit Jahrtausenden haben wir Menschen durch den Glauben eine Stütze erhalten. So stützt auch mich der Glaube an Gott. Der Glaube an MEINEN Gott.
Jeder hat eine eigene Vorstellung von Gott, denn die Kirche lässt jedem Gläubigen genug Freiraum für eigene Bilder und Vorstellungen.
MEIN Gott verhält sich meinen eigenen Gefühlen entsprechend.
Bin ich traurig, so tröstet er mich.
Weine ich, so weint er mit mir.
Habe ich Angst, so beschützt er mich.
Wenn ich glücklich bin, so freut er sich mit mir.
Gott gibt mir Halt im Leben und zeigt mir, dass ich "gewollt" bin. Er zeigt mir, dass er mich will und sich mir zuwendet, im Gebet wie auch in den Geschichten und Gleichnissen in der Bibel.
Ein gesunder Glaube stellt jedoch auch einige Fragen, doch allein durch das ANNEHMEN von Gott, sind alle meine Fragen beantwortet.
Ich lese die Bibel, mache mir Gedanken, stelle Fragen, und mein unendlicher Glaube an Gott und seinen Sohn Jesus Christus gibt mir Antworten.
Gott ist mein Freund.
Gott ist mein Vater.
Gott ist mein Leben und ich lege meine Seele in seine Hände.

Ilka Ehrmann, Stuttgart, Merz-Gymnasium, Religion Klasse 13



6. Feriensonntag, 28./29. August 2004

Ganz reißt unsere Verbindung nie ab - Von Ruth Pfau

Als ich per E-mail versprach, mitzumachen bei „Was sagt mir Gott?“ schien mir die Einlösung des Versprechens einfach. Als ich anfing, merkte ich, dass ich etwas Unmögliches versprochen hatte. Über, von Gott kann ich nicht sprechen. Gott – wer hat dieses „Wort“ erfunden? Zum ersten Mal gedacht? Unglaubhaft.
Gott ist (für mich) ein Vokativ.
Etwas anderes ist es mit diesem Jeshua, dem Zimmermann aus Nazareth. Diese Geschichten, die über ihn erzählt werden! Gestern las ich wiedermal das Evangelium von der Stillung des Seesturms.
Da setzt er mit seinem Team gerade nach Kapharnaum über, und das Gespräch nervt ihn wirklich. „Habt ihr das immer noch nicht kapiert? Wieviel Brotstücke habt ihr eingesammelt, nachdem 5000 sich schon mal sattgegessen hatten?!“
Ich musste heimlich lachen. Wirklich, so sind wir. 42 Jahre haben wir das Nationale Lepraprogramm bezahlt, ohne gesicherte Einkünfte. Jetzt sind wir in einer akuten Finanzkrise, die haben wir auch früher schon gehabt, und immer wieder hat er uns seinen Weg eröffnet...
„Ihr Kleingläubigen. Warum habt ihr gezweifelt?“
Was für eine Frage! Die Wellen schlagen schon über den Bootsrand, wir können das Wasser gar nicht so rasch wieder rausschöpfen! Was erwartet er eigentlich von uns?!
Alles.
Den Rest tut er dann selbst.
Soweit.
Und dann plötzlich schlägt es durch, das Fremde, Unverständliche, das total Unbegreifliche. Plötzlich schlägt es durch, dass er die Offenbarung dessen ist, den man nicht einmal denken und kaum anrufen kann.
Dann – was bleibt mir anderes übrig? – kann ich nur sagen: Ich habe die Welt nicht erfunden und mich nicht erfunden, und ich habe unsere Liebe nicht erfunden. Du hast das alles angefangen.
Und dann kann ich nur warten.
Gestern abend, nach 22 Uhr, noch einmal ein Anruf. Ich habe keinen Bereitschaftsdienst heute, es war ein anstrengender Tag, also noch einmal in den Kittel? Ich hole tief Luft und sage: „Ich komme“. Ein junges Mädchen ist für Lösegeld entführt worden. Nicht das erste Mal, dass wir in solch einen Fall verwickelt werden. Ich bestelle die verzweifelte Mutter morgen früh ein. Dan können wir einen Rechtsanwalt um Rat fragen. „Nein, versuchen Sie, heute noch ein bisschen zu schlafen, morgen kümmern wir uns darum, bis wir eine Lösung gefunden haben.“ Sie schenkt mir ein schüchternes Lächeln. „Ich wusste es“, sagt sie. „Sie haben es früher auch getan“.
Nein, da bin ich wirklich gut dran. Ganz reißt unsere Verbindung eben nie ab...

Ruth Pfau, Dr. med., geb. 1929, ging 1960 nach Karachi, wo sie die Lepraarbeit begann. 1979 Ernennung der Ärztin und katholischen Ordensfrau zur nationalen Beraterin für das Lepra- und TB-Kontrollprogramm für ganz Pakistan im Rang einer Staatssekretärin. 1981 ging sie erstmals illegal nach Afghanistan und baute im afghanischen Untergrund einen Gesundheitsdienst auf. Wichtige internationale Aufgaben im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation. Unter ihren zahlreichen Auszeichnungen u. a. „Hilal-i-Pakistani“, der höchste pakistanische Orden, und der Magsaysay-Award, der „asiatische Nobelpreis“. Soeben erhielt sie die Goldmedaille des Albert-Schweitzer-Preises 2004.
 

 

Die Engel stehen uns bei - Von Elisabeth Noelle

Gott ist für mich der Schöpfer unserer Welt, die Engel sind seine Boten, die er uns schickt, um uns beizustehen. Mehrfach in meinem langen Leben habe ich die Erfahrung einer Begegnung mit Engeln gehabt, aber nie die Erfahrung einer Nähe von Gott. Aber Gott ist auch für mich keine Bedrohung. Ich könnte mir denken - sehr schüchtern - daß er mich liebt.

Elisabeth Noelle, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie, Allensbach
 


5. Feriensonntag, 21./22. August 2004

Das Unzerstörbare - Von Wolfgang Thierse

Bei Franz Kafka findet sich die pointiert-paradoxe Beobachtung: „Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen in etwas Unzerstörbares in sich, wobei sowohl das Unzerstörbare als auch das Vertrauen ihm dauernd verborgen bleiben können." Eine der Ausdrucksmöglichkeiten dieses Verborgenbleibens ist der Glaube an einen „persönlichen Gott." - Eine schmerzhaft-dialektische Formulierung! Denn Gott, das ist ja der Unverfügbare, der Verborgene, das und der ganz andere, der schweigt und zugleich gesprochen hat, durch Jesus Christus - so mein Glaube - und der heute spricht im herausfordernden Wort der Bibel und durch die unkonditionierte Zuwendung, die ich durch Menschen erfahre. So ermöglicht mir Gott (im Glauben an ihn), daß das Unzerstörbare eben nicht mein Ego ist, ermöglicht mir die Absage an meine/an menschliche Selbstüberschätzung und Selbstüberforderung, ermöglicht mir Demut vor seiner Schöpfung und seinen Geschöpfen, ermöglicht mir ein Aufgehobensein, das befreiend ist.

Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident

 

Nicht Ende - Von Dieter Althaus

Mein Leben ist, seit ich bewusst denken kann, mit meinem Glauben an Gott verbunden. Die geistige Enge der DDR, der Versuch des SED-Staates, Uniformität im Denken und Handeln überall zu erreichen und auch die Freude am Anderssein waren besondere Katalysatoren für ein aktives Glaubensleben und eine intensive Inhaltsarbeit über „Gott und die Welt“. Gott, die Existenz eines Schöpfers, der nicht Anfang und Ende setzt, sondern die Ewigkeit, schafft eine befreiende Gelassenheit und gibt den Rahmen für mein naturwissenschaftliches Denken.
Er sagt mir, dass es immer die Chancen zur geistigen Offenheit gibt, wenn ich mich auf seine befreiende Botschaft einlasse.
Ganz wichtig für meine politische Arbeit ist, dass mir die Botschaft des Glauben Orientierung gibt. Die Menschenwürde ist unantastbar und ein wesentliches Leitprinzip für meine politische Arbeit. Denken wir nur an die Debatten und manchmal auch Entscheidungen, bei denen Anfang oder Ende des Lebens in Frage gestellt werden und die Unantastbarkeit der Menschenwürde, eines möglichen Forschungserfolgs wegen, geopfert wird.
Besonders eindrucksvoll ist für mich die Art und Weise des persönlichen Umgangs mit Menschen vor dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes. Gott sagt mir: Nimm jeden so, wie er ist, mit seinen Stärken und Schwächen und mit seinen Talenten. Der Glaube an Gott prägt unser Leben in der Familie wie selbstverständlich, und ich hoffe, dass sich dies auch auf unsere Kinder überträgt. Gott und das, was er uns sagt, muss erfahren werden, Vorbilder (Eltern) sind dafür sehr wichtig.

Dieter Althaus, geb. 1958, ist Ministerpräsident von Thüringen und Präsident des Bundesrates.

 

Nichts - Von Reinhard Bütikofer

Mir sagt "Gott" nichts.

Reinhard Bütikofer, geb. 1953, ist Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen.



4. Feriensonntag, 14./15. August 2004

Meine Grenzen - Von Peter Frey

In einer Welt, in der alles machbar, erreichbar, organisierbar erscheint („Nichts ist unmöglich“, heißt der Slogan einer Autofirma), ist Gott eine Provokation. Er entzieht sich unserem Zugriff. Er bleibt ein Rätsel. Wir können uns kein Bild von ihm machen. Gott – ein Gegenentwurf zu unserem Zeitgeist, der das „Image“ wichtiger nimmt als die Substanz einer Person und seines Lebens.
Wir leben in einer Welt der Autosuggestion. Internet, Handy und Globalisierung geben uns die Illusion der Allgegenwärtigkeit. Aber es ist nicht so. Wir stoßen an Grenzen, an räumliche, zeitliche Grenzen – aber auch an Grenzen unserer Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit. Gott hilft, diese Begrenzungen anzuerkennen. Er markiert den Punkt, an dem wir uns von Machbarkeits- und Allmachtsphantasien verabschieden können und uns anvertrauen müssen. Einen Beweis für Gott gibt es nicht. Aber gibt es einen Beweis für Liebe und Freundschaft?
Gott kehrt die bestehenden Verhältnisse um. Das Christentum ist eine Botschaft der Bescheidenheit und Rebellion. „The crooked straight and the rough places plain“, nimmt Händels „Messiah“ Verse des Propheten Jesaia (40,4) auf: Was krumm ist, soll gerade werden und was gebeugt ist, richtet er auf. „Gewaltige hat er vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht“, spricht Maria (Lk 1,52). Gottes Logik ist anders. Christus am Kreuz. Nicht der Erfolg, der Status, der Schein zählen. Gott steht auf seiten der Gebeugten.
Dieser Gedanke begleitet mich auch in meiner Arbeit als politischer Journalist, rät mir zu Demut, macht mich aber zugleich selbstbewusst. Gegenüber den Amtsträgern, auf die wir hier in Berlin unsere Kameras richten. Sie haben nur geliehene kurzfristige Macht. Kein Mensch soll Herrscher über den anderen sein. Herrschaft (und auch die Berichterstattung über sie) hat dienende Funktion. Es gibt einen klaren Maßstab, und der heißt: Unsere politischen Systeme müssen die Rechte und Würde des Einzelnen schützen, so unbedeutend, unauffällig und ohn-mächtig er auch sein mag.
Es geht aber auch um ein Stück Selbst-Distanz. Eitelkeit und Selbstüberschätzung sind Gefahren nicht nur für Politiker. Wir Fernsehmenschen sind diesen Versuchungen so ausgesetzt wie diejenigen, die wir kritisch zu begleiten und zu beobachten haben. Gott verschafft Autonomie den Mächtigen gegenüber. Er erinnert aber auch daran, dass Journalisten Privilegierte sind. Nicht aus uns selbst heraus, sondern im Dienst der Gesellschaft haben wir Fragen zu stellen oder Analysen zu treffen.
Daraus leitet sich übrigens auch das Bemühen um Fairneß ab: Wir dürfen Personen nicht herabwürdigen, müssen versuchen, neue Ideen und Konzepte unparteiisch zu vermitteln, die Rollenteilung zwischen politischem Akteur und Berichterstatter respektieren. Gewiss: Vereinfachung ist das Gesetz des Mediums, auch wir sind Marktgesetzen unterworfen. Trotzdem kann Journalismus differenzieren, Antworten suchen auf die „post-ideologischen“ Fragen unserer Zeit. Generationenausgleich, Gesundheitsvorsorge, allgemeine Wohlfahrt – das sind Fragen jenseits der Parteipolitik.
Es gilt also Spannungen auszuhalten. Gerechtigkeit und Solidarität, aber auch Eigeninitiative und individuelle Verantwortung sind gleichermaßen wichtig. Auch staatliche Über-Versorgung oder ein verriegelter Arbeitsmarkt können entmündigen. Es gibt keine einfachen Antworten mehr. Übrigens helfen mir – trotz allen Ärgers über eine verbeamtete Kirche – Rituale und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Manchmal erscheint mir die Berliner Großstadtgemeinde, zu der ich gehören, als Ausrufezeichen – einer der letzten Plätze, in der die Gesellschaft noch zusammenkommt, bunt und vielgestaltig, so wie sie eben ist. Alle gleich – im Angesicht Gottes: Deutsche und Ausländer, Alte und Junge, Arme und Reiche, Familien und Alleinstehende, Heteros und Schwule. Aber jeder und jede bei sich – vor Gott.
Gewiss suche ich nach Worten, wieso diese Kirche Heimat für mich ist, was Gott bedeutet. Da finde ich Zuflucht in Formel, die mir selbst abgegriffen erscheinen, hilflos angesichts der Kluft zwischen Alltags- und Glaubenssprache. Manchmal beneide ich jüdische Freunde, die es gelernt haben, Gott ohne priesterliche Funktionäre im privaten Raum mit ihren Familien und Freunden zu begegnen. Aber Mit-Gott-Leben heißt auch: in meine Begrenzungen einwilligen, also Herkunft, Grenzen, Wurzeln anerkennen, als subjektive Heimat, ohne Anspruch auf die ganze Wahrheit, als Suchender.
Gott hilft mir zu begreifen: Du bist nicht alles. Es gibt etwas, was größer ist. Bei aller Verantwortung für das eigene Leben, bei aller Freude am eigenen Willen, an der eigenen Leistungsfähigkeit – es ist anders als in der Werbung: Nicht alles ist möglich, nicht alles machbar. Der Mensch kann viel. Aber er kann nicht alles alleine schaffen. Gott sagt: Und das ist gut so.


Peter Frey, Dr. phil., geb. 1957, ist Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin. Im September 2004 erscheint bei dtv sein Buch „Leben in einer verletzlichen Welt“.

Das tägliche Wunder - Kai Diekmann

Das tägliche Wunder - Kai Diekmann

Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht weil Gott weniger zu uns spricht als darauf wartet, daß wir zu ihm sprechen. Daß wir unser Herz öffnen und zuvor unsere Augen. "Das Wunder ist das einzig Reale", hat der Dichter Christian Morgenstern einmal mit Blick auf die Schöpfung bemerkt, wo letztlich alles durch und durch unbegreiflich sei.
Werden und Vergehen, Geburt und Tod, Liebe und Glauben. Warum treffen sich zwei Herzen, warum blühen Blumen, warum altern wir, warum fühlen, denken, empfinden Menschen so unterschiedlich? Wer sich den Sinn für das tägliche Wunder in der Realität erhält, sieht Gott überall. Er ruht im Kern der Dinge wie der Fragen. Nicht alle löst er einem, und der Tod ist das größte Rätsel. Aber es ist nur eines unter vielen, und mag es auch paradox klingen: Gerade die Rätselhaftigkeit und Wunderfülle dieser Welt ist mir Anlaß zu großem Vertrauen. Denn darin vernehme ich die Stimme des Schöpfers.


Kai Diekmann, geboren 1964, Journalist; Chefredakteur und Herausgeber der "Bild"-Zeitung, Herausgeber von "Bild am Sonntag".



3. Feriensonntag, 7./8. August 2004

Wo ist er nicht? - Von Paul Spiegel

Für uns Juden ist Gott die erste Ursache jeden Seins. Er ist der Schöpfer der Welt, aber er nimmt auch Einfluß auf die Welt, wie die Geschichte unserer Urväter zeigt. Gott ist eins, unteilbar und körperlos, eine menschliche Inkarnation ist für uns undenkbar. Gott ist allmächtig, allgegenwärtig, unendlich gut und vor allem barmherzig. Der oft von Nichtjuden gebrauchte Begriff eines „jüdischen Rachegottes" ist für uns nicht denkbar. Gott ist gerecht, aber eben auch unendlich gnädig. Jeder Sünder, zu jeder Zeit, bis zum Zeitpunkt seines Todes, kann den Weg zurück finden. Sinn unseres Judentums ist es, unter Zuhilfenahme der göttlichen Gebote seine restlos positiven Attribute nachzuahmen und sich somit um eine bessere Welt zu bemühen.
Der Glaube an ihn, den einzigen Gott, ist nicht auf das Judentum beschränkt. Ein oft zitierter Satz sagt: „Gott wohnt in jedem Herzen, das ihn einläßt." So ist es unsere Hoffnung, daß eines Tages alle Menschen an einen Gott glauben und wir alle auf dieser Basis vereint in Frieden miteinander leben können. Der Talmud erzählt eine Geschichte von einem Mann, der einem Jungen einen Sus, ein Geldstück, versprach, wenn er ihm sagen könne, wo Gott sei. Der Junge soll geantwortet haben: „Ich gebe dir zwei Sus, wenn du mir sagen kannst, wo er nicht ist."

Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

 

Staunen und Ehrfurcht - Von Alexij II.

Es ist sehr schwierig, die Gedanken und Gefühle stichwortartig zu fassen, die bei mir als orthodoxem Christen, als Mönch und Vorsteher einer Landeskirche entstehen, wenn ich „Gott" sage oder höre. Meines Erachtens erlebt jeder Gläubige eine breite Gefühlspalette, wenn er sich an den Schöpfer wendet oder seinen Namen erwähnt. Was mich anbetrifft, gehören dazu unter anderem meine Kindheitserinnerungen an die erste Beichte und den ersten Dienst als Küster am Altar. Dazu gehört auch das Gedenken an den Beginn meines Hirtendienstes in Estland. Dazu gehört die Dankbarkeit zu Gott dafür, daß Er mich in den für unsere Kirche schwierigsten Zeiten der Verfolgung seitens der gotteslosen Macht nicht verlassen hat. Dazu gehört Staunen und Ehrfurcht vor dem Wunder der Auferstehung unserer Kirche aus Ruinen für die letzten zehn/fünfzehn Jahre.

Als Vorsteher der russischen orthodoxen Kirche verspüre ich ausdrücklich die Anwesenheit Gottes und Seine Hilfe nicht nur im Wiederaufbau der zerstörten und entweihten Heiligtümer, sondern auch in der Wiedergeburt der Seelen vieler Menschen, die derzeit erstmals seit Jahrzehnten des militanten Atheismus über die Kirchenschwelle schreiten. Man kann sehen, daß in unserer Kirche - in Rußland, Ukraine, Weißrußland, Moldawien und anderen Ländern - Gotteshäuser sich mit Gläubigen füllen. Klöster wiederaufleben, Theologie- und Sonntagsschulen eröffnen. Die Anzahl der Geistlichen unserer Kirche allein ist gegenüber 1988 um das Fünffache gestiegen. Diese und viele anderen Tatsachen gelten für mich persönlich als triftiges Zeugnis für die Gnade Gottes zu unserem Volk.

Wenn ich die Diözesen der russischen Kirche besuche, wundere ich mich immer über Licht, Liebe und ruhige Existenzsicherheit, die die Augen der Gläubigen in vielen Städten und Siedlungen ausströmen. Ich sehe ausdrücklich die Wirkung des Heiligen Geistes und das Wehen des Segens Gottes, die unser Volk und unsere Kirche nicht verlassen. Und dieses Sehen füllt mich mit der Hoffnung darauf aus, daß wir jegliche Schwierigkeiten und Bitternisse zusammen überwinden können.

Alexij II., Patriarch von Moskau und Ganz Rußland



2. Feriensonntag, 31. Juli/1. August 2004

Ein Blick durch das Fenster der Transzendenz - Von Jan C. Schmidt

Es ist nicht leicht, von "Gott" zu sprechen, den Begriff sprachlich zu fassen. Zumal als Naturwissenschaftler und Physiker, da uns hier eine geübte, professionelle, differenzierende Sprache fehlt. Um nicht nur "über" Gott zu sprechen und damit über uns hinweg. Die Frage nach Gott im 21. Jahrhundert begreife ich zunächst als die Frage nach dem Leben. Sie hält das Wunderbare des Lebens offen, nicht als übernatürliches Wunder, sondern als das Besondere und als das Ganze des Gegenwärtigen in der Natur. Hier stoße ich auch als Naturwissenschaftler immer wieder an Grenzen, auch an die Grenze der Sprachlosigkeit. Das Besondere läßt mich staunen, die Perspektive des Ganzen kann ergreifend sein. Ich denke dann, daß hier so etwas wie der "Glanz Gottes" hindurchscheint: Im Menschen, im Tier, im Kosmos, im ganz Großen wie im ganz Kleinen der Natur. "Gott" wäre so vielleicht eine Chiffre, ein ziemlich reales Symbol für die komplexe Frage nach dem Ganzen, nach der Tiefe des Lebens, nach dem Prozeß des Werdens, nach der Evolution des Ganzen. Und dort sind auch wir Menschen als Zeit- und Prozessgestalten eingebunden in die universelle Evolution des Lebens, die ich gerne als fortwährende Schöpfung ansehen möchte. Die Chaos- und Selbstorganisationstheorien, die Kosmologie und Astrophysik sind aus meiner Sicht noch ganz und gar unausgeschöpfte Gesprächsangebote an Religion und Theologie. Der Theologe Paul Tillich bietet dem religionsfernen Menschen vielleicht eine begehbare Brücke zu Religion und Gott an: "Nennen Sie es Gott oder das Leben!", sagt er.Wie eine russische Puppe enthält die Frage nach Gott für mich viele grundlegende Fragen nach dem Leben und dem Menschen, nach seinem Erkenntnisvermögen und seinem Ort im Ganzen: Was können wir wissen? Was dürfen wir hoffen? Was sollen wir tun? - Was ist der Mensch? Uralte Fragen, später von Immanuel Kant gebündelt, die durch unser neues naturwissenschaftliches Wissen durchaus nicht überholt sind.
Die jüdisch-christliche Tradition - und sicher auch andere Religionen -, hält, so scheint mir, die uralten Fragen lebendig. Sie erinnert daran, daß Leben mehr ist, als dieses Leben lebt, daß wir nicht aus uns sind, daß ein Mehr da ist, ein sich immer weiter entfaltendes Mehr imMeer der Zeit. Kann der wissenschaftlich tiefe Blick in die Natur nicht letztlich als ein Blick durch das Fenster der Transzendenz verstanden werden? Das elementare Staunen im Erkennen hatte Carl-Friedrich von Weizsäcker als spirituelle Grunderfahrung immer wieder hervorgehoben: "Die Physik hat die Geheimnisse der Natur nicht eliminiert, sondern sie hat in tieferliegende Geheimnisse geführt." Wäre es nicht lohnenswert, diese Gesprächsangebote weiterzuführen?

Jan C. Schmidt,Dr. rer. nat., Diplom-Physiker, geboren 1969. Seit 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung und am Institut für Philosophie der TU Darmstadt. Schwerpunkte seiner Arbeit sind u. a. Chaostheorie, Ethik, Dialog zwischen Naturwissenschaft und Religion; zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt "Der entthronte Mensch?" (mit Lars Schuster, Paderborn 2003),"Technik und Demokratie" (mit Kirsten Mensch,Opladen 2003), "Zukunftsorientierte Wissenschaft" (mit Wolfgang Bender, Münster 2003).

 

Das Wort - Von Norbert Walter

Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Nichts ist geworden ohne das Wort.
Gott lärmt nicht. Er spricht leise.
Er sagt nicht, wo es lang geht. Er ist behutsam. Er öffnet uns Wege. Seine Wege.
Wir müssen uns aufschließen für seine Gnade und seine Botschaften. Er will uns gewinnen. Er will unsere Kraft mobilisieren. „Gehet hin, und lehret alle Völker." „Macht Euch die Erde untertan." „Liebt Euren Nächsten wie Euch selbst."
Er ist unsere Ermächtigung. Er ist unser Gebot. Und er ist unser Ziel. Gott lädt uns zu seinem Hochzeitsmahl. Wir sind seine Kinder, in ihm geborgen. Gott nimmt mir nicht Entscheidungen ab, Gott offeriert mir nicht die Trauben, die mir in den Mund wachsen. Gott will die kluge Jungfrau, den klugen Verwalter, den, der die Talente nutzt, nicht den, der sie vergräbt.
Gott gibt den Mut des David, die Weisheit des Salomon, die Liebe und Geduld der Gottesmutter. Und dann schenkt er sich uns selbst in Brot und Wein, jeden Sonntag in der Feier der Eucharistie. Empathie und Empowerment, das gibt er uns!
Ich hoffe, der Gottessohn verzeiht mir das Griechische und vor allem die Anglizismen. Amen.

Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank



1. Feriensonntag, 24./25. Juli 2004

Gott kann nur lieben - Von Frère Roger

Schon in meiner Kindheit hörte ich meine Mutter sagen, daß sich das Wesentliche des Glaubens mit drei Worten sagen läßt: "Gott ist Liebe". Was fesselt einen an diesen Worten, die vom Apostel Johannes stammen? Man entdeckt in ihnen etwas Herrliches: Gott hat Christus nicht auf die Erde gesandt, um die Welt zu verurteilen, sondern damit durch ihn jedes menschliche Geschöpf gerettet und versöhnt wird. Deshalb konnte sechshundert Jahre nach Christus Isaak von Ninive, ein christlicher Denker, Worte wie von Feuer schreiben: "Gott kann nur seine Liebe schenken." Zuallererst bittet Gott uns darum, seine Liebe zu empfangen. Einige Brüder unserer Communauté leben seit langen Jahren in Bangladesh und teilen die Lebensbedingungen der Ärmsten. Einer von ihnen schrieb: "Nach einem Wirbelsturm sagten Nachbarn zu uns: Warum all das Unglück? Haben wir so schwer gegen Gott gesündigt?" Ihr Leid wurde durch die insgeheime Furcht, von Gott bestraft zu sein, noch verschlimmert. Gott ruft niemals Furcht, Angst oder Elend hervor. Er teilt den Schmerz derer, die durch unbegreifliche Drangsal gehen. Und er läßt uns wiederum den Schmerz anderer lindern. Gott will weder Kriege noch Unordnung in der Natur noch grausame Unfälle. Gott ist daran unschuldig, Gott ist die Unschuld. Gott kann nur lieben. Darin liegt das ganze Evangelium. Durch sein Verzeihen versenkt Gott unsere Vergangenheit in Christi Herz und nimmt sich unserer Zukunft an.

Frère Roger, geboren 1915 in der Schweiz, Prior von Taizé; gründete 1940 die ökumenische Gemeinschaft; Auszeichnungen: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (1974); Unesco-Preis für Friedenserziehung (1988); Internationaler Karlspreis der Stadt Aachen (1989); Robert-Schuman-Preis (1992); Notre Dame Award (1996).

 

Rückenwind - Von Hermann Kues

Darüber zu schreiben, was Gott mir bedeutet, ist nicht so einfach. Schnell sind die Sprachmuster des Kinderglaubens oder des theologisch Gelehrten zur Hand, an denen man sich gerne festhält.
Dennoch müssen wir als Christen versuchen, Auskunft zu geben, sprachfähig zu sein, die alten Wahrheiten in unserer Zeit wieder aufscheinen zu lassen, ihnen selbstverständlichen Platz einräumen.
Meine Beziehung zu Gott ist persönlich. Es ist eine ziemlich intime Angelegenheit, darüber zu reden, was er mir zu sagen hat. Es tut mir gut, es gut den Menschen gut, sich an Gott auszurichten, sich an ihn als den Schöpfer des Lebens zurückzubinden, sich an seine Kraft anzukoppeln, ihn als Kraftquelle im eigenen Leben zu entdecken. Diese Kraft gibt meinem Denken und Handeln Richtung. Sie ermöglicht es, von mir Abstand zu gewinnen, da ich mit der festen Zusage lebe, mir zwar größte Mühe geben zu müssen, dass letztlich jedoch alles von Ihm zum Guten gefügt wird. Das gibt mir nicht nur Gelassenheit, sondern gleichzeitig auch Rückenwind bei meinem Tun.
Religion ist Ausdruck der Rückbindung des Menschen an Gott. Jesus lebte ganz aus dieser Perspektive und fand deshalb einen so vorurteilsfreien Zugang zu seinen Mitmenschen. Jeder Mensch ist so, wie er da ist, von Gott gewollt. Daraus leitet sich letztlich auch seine Würde ab. Mein christliches Bild vom Menschen hat etwas mit meiner Beziehung zu Gott zu tun. So wie er zu mir steht, unabhängig von Erfolg und Misserfolg, unabhängig von Gelingen und Scheitern, so steht er auch jedem anderen Menschen. Gott gibt meinem Leben Sinn. Er ist die Mitte.

Hermann Kues, Dr. rer. pol., geboren 1949; Diplomvolkswirt; Mitglied des Bundestages seit 1994, dort Beauftragter der Unions-Fraktion für die Kirchen und Religionsgemeinschaften; Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.




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