Sonntagsgruß

Liebe Gemeinde,
"Fast jeden Morgen gehe ich auf den Dachboden hinauf, um die stickige Luft aus meinen Lungen zu pusten", schrieb Anne Frank (1929-1945) in ihr berühmtes Tagebuch. "Vom meinem Lieblingsplatz aus auf dem Boden sehe ich hinauf in den blauen Himmel und in den kahlen Kastanienbaum, an dessen Zweigen kleine Tropfen wie Silber glitzern. So lange wie dies existiert, so dachte ich, werde ich leben mögen, um dies zu sehen, diesen Sonnenschein, diesen wolkenlosen Himmel."
Jetzt im Mai, wenn die Kastanienbäume wieder erblühen, kommen mir diese Zeilen wieder in den Sinn. Zeilen, die davon sprechen, dass das Betrachten dieses Baumes Anne Frank mit Hoffnung erfüllte und ihr Trost spendete. Mehrfach schreibt sie über diesen Baum, der in Amsterdam auf einem Nachbargrundstück hinter der Prinsengracht 263 stand, wo sich Anne Frank und ihre Familie von 1942-1944 vor den Nationalsozialisten versteckt hielten.
Als diese Rosskastanie durch Pilzbefall ernsthaft geschädigt war, sammelten Freiwillige deren Kastanien auf. Um aus diesen Samen neue Kastanien zu züchten. Mittlerweile sind weltweit solche Anne-Frank-Freiheitsbäume gepflanzt worden. Auch hier bei uns in Aalten und Bocholt stehen seit dem vergangenen Jahr zwei dieser Bäume. Sie wurden im Rahmen von „75 Jahre Frieden und Freiheit miteinander feiern“ gepflanzt. In Bocholt findet man den Anne-Frank-Baum im Stadtwald am Mahnmal des ehemaligen Stadtwaldlagers, ein Ort zur Erinnerung an die Opfer totalitärer Gewalt.
So wie das Tagebuch der Anne Frank ein sehr bewegendes Dokument über den Völkermord im Nationalsozialismus ist, ist Anne Franks Kastanie ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus sowie ein Symbol für Hoffnung und Freiheit.
Vielleicht bringt sie diese oder eine andere Kastanie in der nächsten Zeit zum Nachdenken über Frieden und Freiheit damals und heute. Und bestimmt bringt es in Ihnen etwas zum Blühen.
In einem letzten Eintrag im Mai 1944 schreibt Anne Frank über ihren Baum: „Unser Kastanienbaum steht von oben bis unten in voller Blüte, er ist voller Laub und viel schöner als im letzten Jahr.“

Jutta Rademacher
Vorsitzende Pfarreirat Liebfrauen
Veröffentlicht: 14.05.2021



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