Adventskalender - "Niemand kam"

„Niemand kam“

Als die Wohnung einer alten verstorbenen Frau geräumt wurde, fanden die Angehörigen ein Tagebuch. Neugierig blätterten sie darin, um zu sehen, was die alte Dame dort wohl aufgeschrieben hatte. Sie staunten nicht wenig, als sie feststellen mussten, dass in einem großen Teil des Notizheftes immer wieder die zwei gleichen Worte zu lesen waren.
Die akkurate und pflichtbewusste Frau hatte jahrelang jedes Datum eingetragen und immer wieder war daneben zu lesen: „Niemand kam.“
Seitenweise wiederholten sich diese zwei anklagenden Worte. Das Heft glich einer großen Strafarbeit eines Primarschülers, der immer wieder das Gleiche schreiben musste.
Hier stand die Anklage den Angehörigen schwarz auf weiß vor Augen: „Niemand kam.“
Wie stark muss ihre seelische Vereinsamung, wie groß ihre Resignation gewesen sein!
(Text von Dirk Leuvenik)

Beim Lesen dieses Textes überkam mich im ersten Augenblick starkes Mitleid mit dieser alten Dame und ihrer Einsamkeit. Auch ein wenig Schuldgefühl beschlich mich. Wen habe ich schon lange nicht mehr besucht, der womöglich auf mich wartet? Doch nach einiger Überlegung entwickelten sich auch leicht rebellische Gedanken bei mir. Wieso hat diese Frau jahrelang immer nur auf andere gewartet? Warum hat sie nie die Initiative ergriffen und einen anderen Menschen eingeladen oder besucht? Dann wären sie doch zu zweit nicht mehr einsam gewesen! Oder warum hat sie nicht an einem schönen Programmangebot für ältere Menschen teilgenommen?

Als Gott den Menschen schuf, stellte er sofort fest: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Gott möchte uns zur wahren Menschwerdung in die lebendige Gemeinschaft mit ihm und mit anderen Menschen führen. Seine Botschaft an uns: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Möge Christus uns besonders jetzt in der Adventszeit befähigen, auf unsere Mitmenschen zu zugehen, um unsere menschliche Gemeinschaft und unser Beisammensein zu genießen und mit zu gestalten.


Hedwig Bruckmann
Veröffentlicht: 30.11.2021



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