Sonntagsgruß

Die anderen üben nur!
Es ist schon ein paar Wochen her. Nach einem spät gewordenen Abendtermin, fläzte ich mich noch etwas lustlos in den Sessel und zappte durchs Abendprogramm. Schließlich blieb ich der Schauspielerin wegen bei einem Film mit Inge Meysel (1910-2004) hängen.

In dem Film „Das vergessene Leben“ spielt sie eine alte, demente Frau, die es bei ihren Kindern nicht mehr aushält. Zusammen mit einem jungen Zivi, der für ihre Betreuung zuständig war, bückst sie aus. Ich erinnere mich nicht mehr an viel aus diesem Film, aber dieser eine Satz, der geht seitdem mit mir mit. Mitten in dem Ausschnitt, den ich sah, sagte sie: „Die einen leben, die andern üben nur!“

Dieser Satz aus dem Mund dieser überzeugenden Schauspielerin, in der Rolle einer alten, dementen Frau, die trotz aller Beeinträchtigungen ihr Leben lebt und leben will, ist mir seitdem im Gedächtnis geblieben.
Die Einen leben, die Andern üben nur – einigermaßen gut leben kann jede und jeder, wenn er/sie gesund, jung und halbwegs attraktiv fühlt. Aber sich alt, gebrechlich und unattraktiv fühlen? Aber jetzt, jetzt erst kommt es darauf an. Leben wir – oder haben wir nur geübt? Leben wir auch das Leiden, die Tränen, den Schmerz, die Krankheit, den Tod? Auch das gehört zum Leben.

In der Pfarrei bekomme ich mit, wie unterschiedlich Menschen mit dieser Lebensaufgabe umgehen. Und ich frage mich – werde ich das Durchleben, mit Liebe und Leben füllen, wie Inge Meysel im Film. Leben im Hier und Jetzt! Nicht irgendwann einmal… oder nur noch in der Vergangenheit… .
Mir kommt dieser Satz in den letzten Wochen immer mal wieder ins Gedächtnis und manchmal abends, im Bett liegend kurz vorm Einschlafen, dann ist sie da die Frage: Habe ich heute gelebt – oder nur geübt?
In diesem Sinne einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche,

Ute Gertz